Samstag, 31. Mai 2008

SOS

31. Mai 2008

Liebe Freunde, es wird ernst. Den lockeren Tonfall der vorangegangenen Einträge werde ich nicht länger durchhalten. Gestern hat sich unsere Situation dramatisch verändert. Bei der morgendlichen Visite wurde die Tür geschlossen und die ganze bittere Wahrheit verkündet. Tanja ist auf der Zielgeraden. Es können ihr jetzt nur noch die Schmerzen und jeglicher Leidensdruck genommen werden. Der Arzt war voller Hochachtung vor ihrem einzigartigen Kampf, dem wir zu verdanken haben, überhaupt soweit gekommen zu sein.
Tanja darf sich jetzt endlich von den unendlichen Strapazen dieses Kampfes, der sie ungeheuer viel Kraft gekostet hat, ausruhen. Sie hat sehr viel ausgehalten, um ihre Familie und Freunde nicht mit ihren Problemen zu belasten, uns keine Lebesqualität zu nehmen. Das müssen und wollen wir ihr nun zurückgeben.
Sascha kam sofort aus Leipzig, als er von der Situation erfuhr. Seitdem sind wird rund um die Uhr mit ihr zusammen. So grotesk das an dieser Stelle auch klingen mag: Wir alle und besonders Tanja genießen dieses enge Beisammensein. Sie strömt eine unendliche Zufriedenheit und Glückseligkeit aus, der man sich nicht entziehen kann. Sie küßt und streichelt uns und ist so dankbar für jeden Handgriff, den wir ihr angedeihen lassen. Wir betrachten unsere alten Fotos, freuen uns über die schöne Zeit, die wir miteinander verleben dürfen.
Nach ihrer langen Durststrecke darf sie nun auch endlich wieder trinken und das tut sie ausgiebig. Wir sind nur am Einschenken. Sie hat sich zig Sorten Saft von uns kaufen lassen und die probiert sie nun, mit Sprudelwasser versetzt von rechts nach links und links nach rechts ...
Damit ich es für heute bewenden lassen und werde zurück ins Krankenhaus fahren. Ich hatte es eigentlich nur verlassen, um mich nach Mitteln und Wegen zu erkundigen, das Visum von Tanjas Mutti, das erst ab 04.06.08 gültig ist, ändern zu lassen. Mal sehen, ob die Bürokratie ein Herz hat.

Donnerstag, 29. Mai 2008

und täglich grüßt das Murmeltier

29.Mai 2008

Warum nur mußte ich an diesen Film denken, als ich vorhin aus dem Krankenhaus kam, in dem meine Tanja schon wieder wie ein Häufchen Unglück an den Infusionsständer geklemmt ist?
Wer jetzt ungläubig auf den Kalender schaut, liegt leider richtig mit seiner Vermutung. Auch diesen Urlaub haben wir nicht planmäßig zu Ende gebracht. Trotzdem wir uns so gut vorbereitet und abgesichert hatten, waren ihre Brechattacken nicht zu beherrschen und führten zu einer massiven Dehydrierung. Nachdem wir ihrem Onkologen zunächst zumuten wollten, uns am Telefon Nothilfemaßnahmen zu empfehlen, mußten wir dann die Absurdität dieses Ansinnens eingestehen und machten uns schleunigst auf den Heimweg. Dieser gestaltete sich wirklich zum Horrortrip. Tanja saß zusammengekauert auf dem Beifahrersitz und goß sich Wasser in den Mund, um wenigstens den ausgetrockneten Rachen etwas zu befeuchten. In den Pausen dazwischen mußte sie sich fortwährend übergeben. Sie bestand darauf, ohne anzuhalten, unverzüglich ins Harzklinikum gebracht zu werden. Trotz zweier Staus und anfangs dichtem Berufsverkehr bewältigten wir die Strecke in Rekordzeit. (An die Kollegen in Flensburg: Falls Ihr uns fotografiert haben solltet, laßt bitte Gnade vor Recht ergehen). Gottseidank war ich schneller als der Erlkönig.
In Wernigerode war es dann mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei und noch auf dem Parkplatz brach sie zusammen. Nun war die Hilfe aber schon in unmittelbarer Nähe und obwohl es mir viel zu lange vorkam, bis man sich ihrer annahm, und mich die erste Frage nach ihrer Chipkarte fast die Nerven kostete, ging es dann fachkundig zur Sache. Die folgende Nacht hat Tanja zwar immer noch schlaflos und von weiteren Brechanfällen gequält, verlebt, aber heute früh sah man ihr an, daß die Flüssigkeitsspeicher wieder etwas gefüllt waren.
Um solchen Mißgeschicken künftig aus dem Wege zu gehen, hat man ihr heute eine Sonde in den Magen gepflanzt, durch die der Mageninhalt abgeführt werden kann, da der Zwölffingerdarm offensichtlich undurchlässig geworden ist.
Ja, so in etwa muß ich antworten, wenn jemand danach fragen sollte, wie denn der Urlaub gewesen sein...
Aber wir hatten auch ein paar schöne Stunden. Für Tanja war es deshalb so wichtig, daß wir die Reise antraten, weil es ihr Geburtstagsgeschenk für mich gewesen war. Sie hatte sich in Unkosten gestürzt und mir eine Laufwoche beim Laufguru Wessinghage spendiert. Aus den ersten Veranstaltungen habe ich auch viel Interessantes aufnehmen können und Tanja war selig, mir diese Überraschung bereitet zu haben. Bis auf einen kurzen Spaziergang hat sie die gute Seeluft allerdings nur durch das offene Hotelzimmer geatmet. Trotzdem hat sie mir regelmäßig beteuert, wie gut ihr die Luftveränderung bekäme und daß sie nur heute noch ein klein wenig ausruhen wolle, um dann morgen mit frischer Kraft ebenfalls etwas für ihre Fitneß zu tun.
Soweit der Rückblick. Jetzt wird wieder nach vorn geschaut!

Samstag, 24. Mai 2008

Die Kuh ist vom Eis

24. Mai 2008
Nach den vielen Hiobsbotschaften der letzten Tage, will ich uns allen eine kleine Verschnaufpause gönnen.
Das Krankenhaus hat Tanja am letzten Dienstag wieder verlassen. Sie hat es geschafft, daß sich die ganze Mannschaft vom Oberarzt bis zur Schwesternschülerin, angespornt fühlte, sie unbedingt fit für den Urlaub zu machen. Wenn wir uns auch bislang immer schon sehr gut aufgehoben fühlten im Harzklinikum, so hat sich dieses Haus spätestens jetzt seinen sechsten Stern verdient. Uns wurden Arztkontakte am Urlaubsort vermittelt, Medikamente wurden für Tanja ins Hotel bestellt, Arztbriefe wurden ihr für den Fall der Fälle mitgegeben und die Bordapotheke wurde mit allem aufgefüllt, was auch nur im entferntesten gebraucht werden könnte. Es ist sehr berührend, wie sich alle um sie sorgen.
Morgen soll es nun für eine Woche an die Ostsee gehen. Tanja hatte mir diese Reise zum Geburtstag geschenkt und war schon ganz geknickt, daß sie zu platzen drohte. Ich freue mich natürlich riesig, daß sie sich wieder aufgerappelt hat und hoffe, daß wir die Zeit genießen können. Vollkommen abschalten werden wir nicht können, denn spätestens wenn Tanja Durst bekommt und das Wasser aber nicht hinunterschlucken darf, hat uns die Realität wieder.
Das folgende Bild enstand heute Nachmittag im Bürgerpark, wo wir bei Tanjas Gingkobäumchen nach dem Rechten gesehen haben.
So kennen wir sie doch alle, oder?



Samstag, 17. Mai 2008

Vertagte Hochzeitsnacht

17. Mai 2008

Dumm gelaufen. Gestern habe ich noch vollmundig versprochen, Euch ersteinmal zur Ruhe kommen zu lassen, aber ich muß noch ein paar Details zur Hochzeitsnacht loswerden.
Zu unserem kleinen Flitterabend ist es leider nicht gekommen. Tanja rief mich gegen Mittag auf dem Handy an und verkündete mit zittriger Stimme, daß sie direkt aus der Tagesklinik auf Station eingeliefert wurde. Sie hatte sich, nachdem ich zur Arbeit gefahren war, so heftig übergeben müssen, daß sie einen Schwächeanfall bekam und durch den enormen Flüssigkeitsverlust total dehydriert war. Im Krankenhaus begann dann sofort der übliche Untersuchungsreigen: Ultraschall, Gastroskopie... und die Versorgung mit Elektrolyten, um den Wasserhaushalt wieder ins Lot zu bringen.
Als ich sie am Nachmittag besuchte, strahlte sie mich aber schon wieder an, als ob nichts gewesen wäre und versuchte tapfer, mich etwas aufzuheitern. Leider haben wir bis zur Stunde die Untersuchungsergebnisse noch nicht erfahren. Auch die besten Ärzte brauchen ihr Wochenende und so wird man uns frühestens am Montag mitteilen, wie die Dinge liegen. Wir befürchten, daß der Tumor den Zwölffingerdarm verschlossen hat, da in letzter Zeit selbst Flüssigkeit nicht mehr passieren konnte. Über die möglichen Lösungsansätze für dieses Problem wollen wir heute lieber nicht orakeln...
Heute mußte ich ihr jedenfalls eine Thüringer Bratwurst vom Stand an der Schwimmhalle mit ins Krankenhaus bringen. Wer jetzt glaubt er hätte sich verlesen: eine Bratwurst ! Sie habe solchen Appetit darauf ! Sie hat dann auch ganz genüßlich abgebissen, ausgiebig gekaut und anschließend, ohne vorher zu schlucken, alles in den Beutel gespuckt. Ihr müßt Euch das jetzt nicht bildlich vorstellen. Ich wollte es nur zur Illustration benutzen. Ein Hartholz, wie es im Buche steht! Das ist unser größter Trumpf.
So verlief also unser Hochzeitstag. Statt Sekt habe ich mir am Abend eine Tasse Pfefferminztee gekocht.
Für morgen hat sich Tanja übrigens eine Salzgurke bestellt.

Freitag, 16. Mai 2008

Rückblick mit Blickrichtung vorwärts

16. Mai 2008

Da staunt Ihr, was? Die Tinte des letzten Eintrages ist noch nicht ganz trocken und schon wieder tut sich etwas auf dieser Baustelle. Keine Angst- Ihr müßt in Zukunft nicht täglich hier hereinschauen. Die heutige Sonderausgabe hat lediglich den Grund, daß ich mir gratulieren will. Heute auf den Tag genau vor 26 Jahren haben wir in Leningrad geheiratet und für diese gemeinsame Zeit möchte ich mich bei Tanja aus tiefstem Herzen bedanken. Sicher gab es auch in unserer Ehe Zeiten, in denen nicht alles glatt lief. Gemeinsam haben wir den Willen gehabt, diese Tiefen zu überstehen und uns gegenseitig die Kraft dazu gegeben.
Ich bin ungeheuer glücklich, Tanja in dieser schweren Zeit beistehen zu dürfen und hoffe auf weitere schöne Jahre mit ihr zusammen.
Unsere Silberhochzeit vor einem Jahr haben wir noch ganz unbeschwert in St.Petersburg gefeiert. Heute bekommt Tanja statt Sekt ihre Therapie. Wir werden es uns heute abend trotzdem schön machen und gemeinsam unser Glück genießen. Sicher werden wir uns auch diesen Videoschnipsel nocheinmal anschauen, den Sascha im letzten Jahr auf unserer Feier aufgenommen hat:

Carpe diem !

Dienstag, 13. Mai 2008

Mai fair Lady

12. Mai 2008

Der Wonnemonat ist schon ziemlich weit vorangeschritten und es ist wiedereinmal Zeit für einen Lagebericht.
Das herrliche Wetter der letzten Wochen hat Tanjas Lebenslust noch zusätzlich beflügelt. Sie genießt die Sonne und jedes einzelne Gänseblümchen auf der Wiese. Zusammen mit Frank, unserem Freund und Vollblutgärtner, bin ich dem Biotop um unser Haus herum zuleibe gerückt, das bisher leider niemals die Bezeichnung Garten auch nur annähernd verdient hat. Inzwischen haben wir schon einen recht ansehnlichen Zwischenstand erreicht und man benötigt nicht mehr viel Phantasie sich vorzustellen, wie schön es sein wird, wenn die neugepflanzten Blumen und Bäumchen ihre finale Größe erreicht haben werden. So wurde Sascha telefonisch ganz stolz davon in Kenntnis gesetzt, daß seine Mutter jetzt eine tolle russische Pflaume habe...
Wenn ich eingangs schrieb, daß Tanja die Sonne genießt, wird sicher jeder, der sie kennt, das typische Bild vor Augen haben, wie sie immer jede Gelegenheit nutzte, den Kopf in den Nacken zu legen und mit dem Gesicht zum Himmel gewandt den Strahlen die volle Breitseite zu bieten um die maximale Pigmentausbeute zu erhaschen. Zu ihrem größten Ärger bringen es die Medikamente in dieser Saison mit sich, daß sie sich dem Sonnenschein nur mit breitkrempigen Hüten und hohem Lichtschutzfaktor aussetzen darf. Es macht schon etwas traurig, mit anzusehen, wie sie sich durch die Krankheit von vielen Gewohnheite verabschieden mußte. Gleichzeitig bewundere ich sie, mit welcher Gelassenheit sie das tut und mit welcher Entschlossenheit sie alles dem Ziel unterordnet, wieder gesund zu werden. Die ehemalige Lieblingskundin von Douglas verträgt kein parfümiertes makeup mehr und trägt ihre durch die Therapie angegriffene Gesichtshaut mit einer Würde zur Schau, das man für die Pickelchen kein Auge mehr hat. Für mich ist sie der lebende Beweis dafür, daß wahre Schönheit wirklich von innen kommt.

Bezüglich ihrer gesundheitlichen Gesamtsituation hangeln wir uns von Strohhalm zu Strohhalm. Nachdem sie ihrem Onkologen mittlerweile die Sorgenfalten auf die Stirn getrieben hat, baten wir um eine Überweisung zu einer Konsultation an die Uniklinik in Halle. Dieser Termin hat in der letzten Woche stattgefunden und wir wurden zumindest mit der Zuversicht entlassen, daß es weitere Ideen gibt, Tanja zu helfen, wenn die aktuelle Therapie nicht mehr ansprechen sollte. Leider ist der Tumor ein ebensolches Hartholz wie seine Wirtin: er ist genauso zäh und intelligent und fand bisher über kurz oder lang jedesmal eine Strategie, der Chemo zu widerstehen. Zähneknirschend haben wir uns damit abgefunden, daß dem Bösewicht mit dem Messer wahrscheinlich nicht beizukommen sein wird. Wir müssen uns also mit ihm arrangieren -aber der Chef ist Tanja !!
Wir haben die Unikilinik also recht zuversichtlich verlassen und haben zur Abrundung des Tages noch eine Stippvisite bei Sascha in Leipzig gemacht. Dieser Besuch, so wie auch jeder andere Kontakt zu unserem Sohn hat neben der normalen Wiedersehensfreude immer noch eine außerordentliche therapeutische Wirkung für Tanja. Auch ich möchte ihm an dieser Stelle nocheinmal sagen, wie stolz wir auf ihn sind und daß wir seinen Entscheidungen, wenn sie für uns vielleicht auch nicht immer gleich plausibel erscheinen, voll vertrauen.